Reflections.
Hans Kupelwieser im Gespräch mit Alexandra Schantl, Mai 2012

ASDie im Rahmen von ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH stattfindende Retrospektive mit dem Titel Reflections bietet die Gelegenheit, mit Ihnen über Ihr fotografisches und skulpturales Werk zu sprechen, von den konzeptuellen Arbeiten bis zu den Projekten im öffentlichen Raum. Was macht für Sie den Reiz einer solchen Ausstellung aus?

HKDie Personale zeigt, dass ich in meiner Produktion verschiedene Techniken anwende. In meinem Werk gibt es eine ständige Entwicklung und einen Wechsel der Medien, also einen Wechsel zwischen flach (2-D), plastisch (3-D) und virtuell. Die Veränderbarkeit, die Bedingungen der Medien und der verwendeten Materialien und das Spiel mit den Bedeutungen sind wesentliche Faktoren meiner Kunst. Das lässt sich in der Retrospektive und der begleitenden Publikation gut nachvollziehen, weil darin ein Bogen gespannt wird von den frühen fotografischen Arbeiten zu performativen Aspekten und konzeptionellen Arbeiten, von Objekten zur vergleichenden Kunstgeschichte zu Neuerfindungen, originären Konzeptionen und neuen Sehweisen von Objekten, vor allem zur Produktion von noch nicht Gesehenem.

ASDer entscheidende Impuls für Ihre künstlerische Karriere ging von der Fotografie aus. Wie darf man sich Ihre plastischen Arbeiten aus der Studienzeit vorstellen?

HKIn meiner Studienzeit wurde mir von Herbert Tasquil, dann von Bazon Brock und schließlich von Peter Weibel im Rahmen der laufenden Entwicklungen viel Selbstständigkeit zugestanden und somit auch Autodidaktik abverlangt. Die Entwicklung verlief von der Skulptur zur Fotografie und vice versa. Ursprünglicher Ausgangspunkt waren in Polyester getränkte Kleidungsstücke, die als körperlose Hüllen an die Wand gehängt oder gelehnt wurden (Künstlerhaus, 1977). Ein in Polyester getauchtes, um einen Baum (im Park) gewickeltes Unterkleid wurde durch eine Fotoarbeit weiter- und überarbeitet, sodass schließlich das Foto anstelle des Kleides an der Säule (im Künstlerhaus) hing. Das zeigt, dass es bereits damals um ein dialogisches Verhältnis von Plastik und Fotografie ging. Genau genommen war es der Schritt zur Erweiterten Fotografie (Secession, 1981, Kurator: Peter Weibel), eine meiner ersten Ausstellungsbeteiligungen mit konzeptionellen Fotoarbeiten.

ASEs gab aber auch eine kurze Phase, in der Ihr Schaffen zur Malerei tendierte. Ich denke da an die frühen Reliefbilder. Welche Bewandtnis hat es damit?

HKDiese Arbeiten, wie Der starke Arm, wo der Bizeps zum Berg wird, oder Der Spaziergänger, wo ein Spazierstock eins wird mit der Landschaft, in der er steckt, sind in der Konzeptkunst verhaftet, erkennbar ist jedoch schon die „andere Sehweise“, die Veränderung, die Manipulation der ursprünglichen Bildinhalte.

ASEine Ihrer ersten Einzelausstellungen in der Galerie Hubert Winter in Wien haben Sie mit plastischen Arbeiten aus getriebenem Aluminium bestritten. Wie kam es dazu?

HKEs war eine Skulpturengruppe, geformt aus Blechen von zwei mal ein Meter Größe ohne irgendwelche Hinzufügungen, die in ihrer Gesamtheit wie ein Bühnenbild wirkten. Eigentlich habe ich der fotografischen Ansicht mehr Bedeutung beigemessen als den Objekten selbst und dieses Werk nicht als klassische Skulptur verstanden.

ASWobei sich aber doch recht deutlich der Einfluss der Neuen Wilden zeigt …

HKPrimär war und ist für mich bei der Entwicklung der Arbeiten wichtig, zu sehen, was aus dem Material entsteht, ohne das Ergebnis vorwegzunehmen, um den künstlerischen Vorgang offenzulassen, was auch in die Richtung eines sich verändernden Kunstwerkes geht. Aufgrund dieser Aluminiumskulpturen wurde ich von der Aluminiumverarbeitungsfirma Neuman in Marktl bei Lilienfeld eingeladen, vor Ort zu arbeiten. Als Autodidakt konnte ich nun erstmals intensiv die Möglichkeiten des Materials ausloten und anderweitig nutzen. Rückblickend war es für mich von großer Bedeutung, nicht in einem abgeschlossenen Atelier, sondern in einem industriellen Betrieb zu arbeiten. Das ist für mich bis heute ein zentraler Antrieb. Dort konnte ich meine ersten aufgeblasenen Aluminiumskulpturen erzeugen. Ähnliche Produktionsbedingungen bot mir die VOEST, als ich von der Ars Electronica eingeladen war, vor Ort ein künstlerisches Projekt umzusetzen. Prägend für die Entwicklung war es, nicht mehr manuell im Atelier, sondern mit großen, schweren Maschinen industriell zu arbeiten. Und diese Entwicklung konnte ich bei dem in St. Pölten errichteten Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus weiterführen. Dabei habe ich von der VOEST vorgeschmiedete Teile zu einer Skulptur verschweißt. Schließlich habe ich auch von der Berndorf AG die Möglichkeit bekommen, in der Fabrik zu arbeiten. Dort sind Skulpturen aus verspiegeltem Edelstahl und Aluminiumseilen entstanden, wie sie für Hochspannungsleitungen verwendet werden. Der „wilde Impuls“ kam für mich aus den Industriehallen.

ASEs gibt auch eine Gruppe von Metallskulpturen, die wie Maschinenteile aussehen und fast die Anmutung von Readymades haben. In welchem Zusammenhang stehen diese Objekte?

HKDas sind Skulpturen, die ich ebenfalls in Berndorf beziehungsweise bei der Firma Enzesfeld-Caro mit Bandsägen direkt aus dem vollen Material von Fundstücken oder Schrottteilen aus Bronze, Stahl etc. herausgeschnitten habe. Meine „Readymades“ sind also überarbeitete Objets trouvés.

ASDas heißt also, dass von jeher das Material im Zentrum Ihres künstlerischen Interesses stand?

HKEs ist nicht nur das Material, es ist eher die künstlerische Verarbeitung, die Manipulation, was man künstlerisch mit verschiedenen Materialien und Rohstoffen machen kann. Industriehalbfertigprodukte sind im künstlerischen Sinn Fundsachen und der industrielle Umgang mit Maschinen beziehungsweise die Art der Verarbeitung künstlerische Vorgänge. Für mich als Künstler ist es wesentlich, eine neue Verwendung für Materialien oder eine andere Form der Benützung von Maschinen zu finden, die sonst nicht üblich ist. Das lässt sich bis zu meinen aktuellen Arbeiten wie den Reliefs aus tiefgezogenem Kunststoff verfolgen. Es geht um das Ausreizen des Möglichen, ohne an einem ganz bestimmten Material interessiert zu sein. Analog zu meinen Fotogrammen, für die ich Dinge heranziehe, die in einem Haushalt einfach vorhanden sind (Lebensmittel, Besteck, Möbel usw.), kann ich in einem Industriebetrieb aus einem Arsenal von andersartigen alltäglichen Materialien schöpfen.

ASRobert Fleck hat einmal zu Ihrem Schaffen angemerkt, dass es aufgrund der Nähe zwischen freier und angewandter Kunst gewissermaßen in der Tradition der Wiener Werkstätte steht. Andererseits gibt es den Bezug zu Marcel Duchamp. In welchem Kontext sehen Sie sich selbst im Austausch mit Freunden und Kollegen wie Heimo Zobernig oder Gerwald Rockenschaub?

HKMarcel Duchamp ist einer der Künstler, die meine Arbeit stark beeinflusst haben, insbesondere die Art und Weise, wie er mit dem Zufall gearbeitet hat. Das ist für mich grundlegend. Die Trennung zwischen angewandter, als „Design“ verpönter Kunst und hehrer, wahrer Kunst wird zwar in meinen Arbeiten thematisiert, existiert für mich aber nicht. Das habe ich auch in meiner Zusammenarbeit mit Franz West so gehalten, wenn wir in meinem Atelier in Lunz Gemeinschaftsprojekte realisiert haben.

ASGing es dabei um eine bewusste Neubewertung und Ironisierung der klassischen Konzeptkunst oder der Minimal Art?

HKMir sind das Ernsthafte, die Strenge, der Anspruch der Absolutheit und die Auratisierung fremd. Ich habe einen eher spielerischen, abweichenden Zugang und könnte mich allein schon von meinem Naturell her nicht ein Leben lang mit einem einzigen Thema beschäftigen und es in unzähligen Variationen durchdeklinieren.

ASAb Mitte der 1990er-Jahre kam bei der Formfindung Ihrer Werke ja verstärkt der Zufall ins Spiel.

HKGenau genommen handelt es sich nicht um reine, sondern vielmehr um gesteuerte „Zufallsprozesse“ (den reinen Zufall gibt es vermutlich nur in der Quantenphysik). Viel einfacher gesehen kommt es mir vor allem auf die generelle Nichtwiederholbarkeit eines spezifischen Gestaltungsprozesses an.

ASEin ganz wesentlicher Aspekt Ihres Schaffens ist die enge Beziehung zwischen Bild, Abbild und Gegenstand an sich. Haben Sie dazu so etwas wie eine Theorie entwickelt?

HKIch forciere die Beziehungen und Wechselwirkungen und demonstriere, dass es für alle Objekte unterschiedliche Erscheinungsformen – ich könnte auch sagen: unterschiedliche Aggregatzustände – gibt. Also zum Beispiel einen realen Sessel, ein Fotogramm davon, die Rematerialisierung des Fotogramms zum Objekt und noch weiter die Überarbeitung zur autonomen Skulptur, die durch diese Entwicklung alles, was „Sessel“ war, Bild oder Abbild, vergessen hat. Es ergeben sich oft aus einer Arbeit verschiedene Ableitungen und Verzweigungen, das heißt, es geht immer weiter wie in einem sich selbst generierenden System. Das gilt insbesondere für die aktuellen Arbeiten, wobei diese medialen Verästelungen meist nicht geplant sind, sondern vielmehr prozesshaft entstehen. Manchmal greife ich auch Aspekte von älteren Werken auf und entwickle sie weiter, wie bei den aus Metall geschnittenen Schriftarbeiten: Beispielgebend und richtungsweisend ist die auf einem Text von Burghart Schmidt basierende Schriftskulptur (geplant für die Ausstellung im MAK 1994, nicht ausgeführt, weil damals technisch nicht möglich). Anfänglich habe ich Burghart Schmidt die Idee meines Vorhabens so genau erläutert, dass er in seinem Katalogbeitrag die Arbeit präzise beschrieben hat, obwohl sie gar nicht existierte – oder zunächst nur als grafische Darstellung in der Publikation. Jahre später habe ich die Skulptur tatsächlich realisiert, und zwar auf der Grundlage und unter Verwendung von Burghart Schmidts Beschreibung, das heißt, es handelt sich um eine spätere Materialisation des Textbeitrages für den Katalog. Wenngleich eindeutig selbstreferenziell, ist diese Arbeit insgesamt exemplarisch für meinen theoretischen Background und für die Genese jenseits von Bild, Abbild und Objekt. Und dieses Beispiel zeigt auch meinen Umgang, das Jonglieren mit der Zeit.

ASDas deutet, um Ludwig Wittgenstein zu bemühen, auf eine gewisse Vorliebe für Sprachspiele hin …

HKHier knüpfen die Leiterskulpturen an, die auf Titeln von Werken anderer Künstler basieren. Im Tractatus logico-philosophicus hat Wittgenstein davon gesprochen, dass man die Philosophie wie eine Leiter benützen soll. Wenn man sie benutzt, also verstanden hat, soll man sie wegwerfen. Die Künstler, die ich zitiere, waren für mich wichtige Impulse; sie sind sozusagen meine Leitern.

ASWelche Künstler, abgesehen von Duchamp, sind das?

HKRobert Smithson unter anderem mit seiner Arbeit Glue Pour. Das war eines seiner Land-Art-Projekte, bei dem er ein riesiges Fass Klebstoff über eine Felsklippe gekippt hat, gewissermaßen ein plastisches Schüttbild. Eine andere Textleiter bezieht sich auf ein Werk von Jackson Pollock mit dem Titel White Light, wieder eine andere auf die Piss Paintings von Andy Warhol. Die große Leiter mit dem Titel Descendant nimmt natürlich auf Duchamps Bild Nu descendant un escalier Bezug, bei dem es um die Darstellung einer Bewegung in Phasen geht, wie es auch bei einigen meiner Arbeiten der Fall ist – etwa bei den Fotografien, die die eingefrorene Bewegung eines sich drehenden Coray-Sessels zeigen.

ASIhre Werke haben oft den Charakter wissenschaftlicher Versuchsanordnungen. Wie interpretieren Sie das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft?

HKKünstlerische und wissenschaftliche Forschung sind für mich „verschränkt“, und außerdem bin ich an Technik und Technologie sehr interessiert, naturwissenschaftliche Erkenntnisse fließen unmittelbar in meine Kunst ein: In der Skulpturengruppe Blutkörperchen (LKH Graz, 2002) sind die Morphogenese und die künstlerische Genese, das System der Biologie und das System der Kunst verschmolzen. Bei den Swarm Paintings habe ich verschiedene Phasen von Schwarmbildungen bei Fischen fotografisch festgehalten. Die Fische sind Pinselstriche; sie geben vor, Malerei zu sein. Ähnlich verhält es sich bei meinen Arps betitelten Radierungen, für die mithilfe eines Programms einige Zufallspunkte angenommen und mit einer speziellen mathematischen Kurve, der sogenannten Bézierkurve, miteinander verbunden wurden. Auch hier waren die Ergebnisse nicht geplant, und dass sie letztlich wie Werke von Hans Arp aussahen, war ebenso zufällig wie nicht vorhersehbar.

ASWie sehen Sie Ihre Retrospektive Reflections im Rahmen von ZEIT KUNST NIEDERÖSTERREICH zusammenfassend?

HKDas Auswählen, Zusammenstellen und Produzieren für eine Ausstellung ist für mich durchaus mit der künstlerischen Tätigkeit vergleichbar. Die Retrospektive komprimiert räumlich und zeitlich, bringt meine Kunst für die Wahrnehmung auf den Punkt. Das Nebeneinander der Kunstwerke in der Ausstellungshalle genauso wie im Katalog stößt einen neuen Dialog der Arbeiten und Objekte an. Was retrospektiv mehrere Jahrzehnte waren, sind zeitliche Gedankenblitze. Es sind unterschiedliche Erscheinungsformen, und alle Interpretationen sind Reflexionen.